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7.a) Eintrag

San Antonio de los Cobres - vor Olacapato; Mittwoch, 27. November (Andi)

Nach San Antonio zum  Abra Chorillos
Von San Antonio auf dem Weg zum Abra Chorillos (4560 m)
Weil es das Frühstück (Kaffee mit Nicht-Kuhmilch) erst gegen 8 Uhr gibt, kommen wir erst relativ spät los, d.h. gegen halb neun. Die Strasse ist von der Qualität “la-la”, und so kommen wir nur langsam die leicht ansteigende Strecke voran, d.h. unsere Geschwindigkeit ist nur marginal schneller als die eines Fussgängers auf einer normalen Strasse. In zweieinhalb Stunden sind wir gerade 15 km weit gekommen. Das schreit nach einer Pause. Danach wird es nicht besser, im Gegenteil, die Strasse steigt stärker an. Andi fährt mit einer Art “Scheibe”: alles erscheint irgendwie ein bisschen weiter weg und gedämpft, Bewegungen fühlen sich an wie ein Roboter. Das ist wohl die Anstrengung in der Höhe. Im Ruhezustand ist es nämlich weg. Immerhin sind wir jetzt auf 4000 m Hoehe. Aber der Akklimatisierungstag in San Antonio zahlt sich aus, sonst wäre es wohl noch schlimmer gekommen...
Wir passieren eine kleine Mine - von der man fast nichts sieht (man würde sie für einen Stall oder Schuppen halten, wenn es nicht angeschrieben wäre) - und zwei Llama-Herden. Die Strasse windet sich jetzt in Serpentinen den Hang hinauf, und der Wind frischt auf. Wenigstens noch vor allem von hinten oder der Seite. Wolken türmen sich auf, und die Luft wird feucht. Mit anderen Worten, es beginnt zu regnen mit einzelnen Schneeflocken, zu donnern mitsamt grandiosen Echos und einzelne Blitze zucken in den Wolken. Dummerweise führt unsere Strasse genau in die dunkelste Zone hinein, und von hinten kommt unaufhörlich Wolkennachschub. Ein summendes Verkehrsschild fördert unser ungutes Gefühl... Richtung Abra Chorillos

Wir beeilen uns, so gut es geht, um weiter zu kommen, denn zum Unterstellen gibt es weit und breit nichts. Die Strasse überwindet einen Rücken (4380 m) und macht eine Kehrtwendung: wir fahren wieder Richtung Sonne - dafür mit dem Wind im Gesicht. Erstmal geht es aber ein wenig abwärts, so dass der Wind uns nicht viel macht. Die Strasse besteht aus einer Mischung aus groben Steinen und Sandmulden und ist offenbar seit langer Zeit nicht mehr renoviert worden. Wir sichten die Linie des “Tren a las Nubes”, die auf der Karte auch so angegeben war. Sonst stimmen Karte, Schilder und die Kilometeranzeigen an der Strasse nicht immer ganz überein. Nach dem kurzen Abstieg windet sich die Strasse weiter hinauf und erreicht den Abra Chorrillos (Pass) mit 4560 m Höhe. Es ist schon halb vier, und wir sind erst etwa 30 km gefahren, aber trotzdem froh über den Erfolg: unseres Wissens nach ist das der höchste Pass der Strecke, und es ist der höchste Punkt, den wir je mit dem Fahrrad erreicht haben.

Weiter geht es in eine weite topfförmige Ebene hinunter, wo es sogar mal einen Bahnhof gegeben haben soll. Wir finden aber nur ein Signal und ein Ausweichgleis, aber keine Spur von einem Gebäude. Weit und breit ist nichts zu sehen, wozu dieser Bahnhof mal gut gewesen sein könnte: keine Mine, kein Haus, keine Tiere. Die Strasse wird immer sandiger, und damit unangenehm zu fahren. Oft ist der Sand in Mulden, die manchmal nicht mehr fahrend zu überwinden sind. Der Wind hat auch gedreht und kommt von Westen, d.h. von vorne. Das wird sich die nächsten Tage nicht mehr ändern.

Wir folgen der Strasse in einen weiteren, viel kleineren Talboden, der von oben aus schön grün mit weissen Rändern aussieht. Die weissen Ränder sind Mineralien, und der Bach, der durch den Boden fliesst, hat darum auch kein trinkbares Wasser. Wir haben aber noch genügend Wasservorräte. Trotz der unwirtlichen Gegend gibt es eine Hütte hier und eine Llama-Herde. Wir sind langsam auf der Suche nach einem Schlafplatz, müssen aber erst noch eine “Quebrada” (Schlucht) hinunter, bevor wir am “weissen Bach” fündig werden. Davor haben wir noch einen Hund abzuwehren, der wie irr auf uns zugeschossen kommt, aber im letzten Moment doch noch abdreht. (Insgesamt sind die Hunde hier sehr friedlich. Ausser diesem hört man sie sonst nur aus der Ferne bellen.)

Auf einem Seitenweg richten wir uns für die Nacht ein. Wir müssen das Zelt mit grossen Steinen (im felsigen Boden haben wir mit den Heringen keine Chance) gegen den Wind sichern, bevor wir uns einem der wichtigsten Dinge widmen können: dem Abendessen. Es gibt Polenta mit Kürbissuppe/-sosse. Der Wind lässt in der Nacht nach. Etwa 40 km, plus 800 m, minus 300 m. Begegnung mit 3 Lastwaegen, 1 Velofahrer, 5 Autos, davon eines gleich zweimal (Touristen, die sich verfahren hatten).

vor Olacapato - vor Catua; Donnerstag, 28. November

Campa Amarillo
Campo Amarillo (Gelbes Feld) vor Olacapato
Heute sind wir wieder nicht die schnellsten mit dem Start. Auf den immer noch 4250 m dauert es mit dem Wasserkochen seine Zeit, und wir hatten 0 Grad am Morgen im Zelt - da freut man sich nicht so auf das Aufstehen. Wir verzehren Milchbrei, der aus Wasser, Milchpulver, Kakaopulver und Breipulver kunstvoll zusammengerührt wird. Es ist gar nicht so schlecht, wie es sich vielleicht anhören mag. Um 10 geht es endlich weiter, wenigstens bei mittlerweile angenehmen Temperaturen. Dafür bei immer unangenehmer werdender Strasse. Es wird zunehmend flacher, der Wind zunehmend stärker und von vorne, und die Strassenkonsistenz zunehmend “tiefsandiger”. Meistens ist der Sand sehr fein, und wir bleiben immer öfter stecken. Bevor man wirklich stecken bleibt, versucht man noch mit aller Kraft wieder auf festeren Boden zu kommen, was unheimlich viel Kraft kostet und ausser einem durchdrehenden Hinterrad meistens nichts bringt. Das ist auch nervtötend. Das Rad wieder aus dem Sand zu schieben, kostet jedesmal ein Herzklopfrennen...
Frachtzug
Der wöchentliche Frachtzug auf der Paso Socompa Strecke.

Olacapato
Olacapato von der Ruta 51aus.
ir wollen nach Olacapato, weil es der Karte einer Freundin, die die Strecke 1996 gefahren ist, dort einen Laden (und Wasser) gibt. Nur, sind diese paar Hütten und Häuser dort hinten Olacapato? Die Wegweiser weisen geradeaus, die kleine Siedlung aber ist rechts von der Strasse. Weit und breit ist sonst nichts zu sehen, was Olacapato sein könnte. Also queren wir durch den stachelpflanzenbewehrten Sandboden von der Strasse Richtung Häuser, überwinden den Bahndamm (das ist gar nicht so einfach, wenn das Rad samt Gepäck über 40 kg wiegt) und fragen die ersten Leute, die wir sehen, ob dies unser gesuchtes Olacapato ist. Es ist es. Mit einigem Fragen finden wir auch den Laden, den wir sonst nie gefunden hätten. Natürlich ist er nicht angeschrieben, die Leute hier wissen ja, wo er ist. Und ausser einigen Velofahrern kommt ja niemand hier vorbei. Der Laden bietet nicht viel, immerhin bekommen wir einige Kekse und einen neuen Pack Polenta (Polenta ist gut, weil es in ein paar Minuten fertig ist - wenn das Wasser erst mal kocht). Dazu gibt es für jeden von uns ein Sandwich - für Sibylle eines mit Milanesa (Schnitzel) und für Andi eines mit Käse. Das dürfen wir nicht bezahlen. Dafür müssen wir uns im Buch eintragen. Wir sind der erste Eintrag im Jahr 2002. Ein paar gibt es aus 2001 und ein paar mehr aus 2000. Da wurde es angefangen (Wir sind auf Seite 7 oder 8). Weiter können wir unsere Wasservorräte auffuellen - es ist der vorletzte Ort vor der Grenze zu Chile. Sibylle hat von unserer Freundin ein Foto mitbekommen, das sie hier abgeben soll (wir waren uns nicht sicher, ob dies wirklich der Ort war, wo es aufgenommen worden und abzugeben war. Aber die Senora erkannte die Kinder darauf, und nahm es für die Weitergabe entgegen).

Olacapato besteht aus einer Kirche, einer Schule, einem Rathaus, einem Haus mit vielen Antennen und einigen Baracken. Darin wohnen erstaunlich viele Kinder, die gerade von der Schule kommen, und im Schatten schlafende Hunde. Was die Leute hier wirklich machen, ist etwas rätselhaft. Einige bauen am nahen Salar de Cauchari Salz und Borax ab. Im Nebengebäude des Ladens wohnen einige Männer von weit weg (Mendoza und weiter südlich), die ihre Firma für je 30 Tage hierher schickt, um Goldvorkommen zu suchen. Dann dürfen sie für 10 Tage nach Hause, um dann weiter zu suchen. Sie sind offenbar sehr froh um die Abwechslung, die unsere Gegenwart ihnen bietet. und Sibylle muss alles von unserer Tour erzählen. Unsere Geschichte bringt uns je zwei Gläser Cola ein...

Das nächste Stück Weg gehört zum Weg zur Hölle. Es ist flach, hat Gegenwind mit Sturmcharakter und man bleibt spätestens alle 50 m im Sand stecken. Andi bringt seine ganze Litanei an Schimpf- und Fluchwörtern an - wie zu erwarten, ohne jeden Nutzen. Auch der Bahndamm ist - entgegen dem Tip eines holländischen "Velopaares" - nicht besser zu befahren... (der wöchentliche Frachtzug kam uns am Morgen entgegen, es wäre also ungefährlich). Schliesslich stossen, schieben und fahren wir unendlich langsam bis zur Abzweigung der Route 37 von der “Nationalstrasse 51”, auf der wir bisher waren (in Tat und Wahrheit fällt uns kein Wald-, Alp- oder Forstweg in Europa ein, der so katastrophal gewesen wäre wie diese Nationalstrasse, ein). Die Route 37 wurde uns allseitig als bessere Alternative zur Ruta 51 empfohlen, und der Beginn ist vielversprechend: halbwegs fester Untergrund und nur wenige Sandmulden. Wir kommen gut voran, nur der Wind bremst unseren Vorwärtsdrang. Und eine Eule, die sich von uns belästigt fühlt. Wir queren ein Stück des Salar de Cauchari (Salar = Salzsee) und finden einen halbwegs windgeschützten Zeltplatz hinter einem Sandhaufen. Das hat den Nachteil, dass die stärkeren Windböen den Sand überall hin wirbeln (Augen, Zelt, Taschen, ...).

Es ist gegen 18 Uhr, also Zeit zum Essen. Nur, der Kocher will heute nicht. Unser vielgelobter Whisperlight! Tut einfach nicht. Die Analyse des Problems ergibt, dass kein Benzin in die “Vorheizpfanne” fliesst. Irgendwo ist was verstopft. Aber was? Vom Hörensagen haben wir im Hinterkopf, dass der Kocher eine Benzindüse hat. Wo die nur sein mag? Die Inspektion des Kochersacks ergibt keine Beschreibung oder Ähnliches, nur eine Art Multifunktionswerkzeug und eine Tube mit unbekanntem Inhalt und unleserlicher Beschriftung sowie einem Metallring, der wahrscheinlich etwas mit Kerosin-Einsatz zu tun hat. Wir sehen uns schon trockene Reiskörner oder Teigwaren kauen... Einiges rumdrehen, schrauben etc. fördert in den erstaunlich einfachen Innereien des Kochers eine Schraube zutage, welche offenbar mit dem Multifunktionswerkzeug zu tun hat. Öffenen derselben erlaubt dem Wind, einen kleinen Kolben fortzublasen. Wieder im Sand gefunden, stellt sich heraus, dass das Ding wohl zur “selbstreinigenden Rütteldüse” gehört. Mit dem Nadelfortsatz kann die ebenfalls entdeckte Düse gereinigt werden. Nun, also nur noch wieder zusammenbauen. Wie war das gleich wieder vorher? Irgendwie bekommen wir es wieder zusammen - und es tut! Doch keine harten Backen vom rohe-Reiskörner-Kauen.

Die halbe Nacht lässt uns der Sturm keine Ruhe, das Zelt schlottert und knattert in satter Lautstaerke. Knapp 40 km, minus 300 m, plus 15 m. 4 Lastwagen, 2 oder 3 Personenwagen, 1 Gueterzug.

vor Catua - argentinische Grenzstation; Freitag 29. November

Da am Morgen der Wind immer deutlich schwächer ist, stehen wir früh auf, verzichten auf das Frühstück und strampeln um Viertel nach Acht los. Es geht wieder mal aufwärts, erst in ein Hochtal, wo uns ein Polizist auf einem kleinen Motorrad überholt. Die Strassen seien eine Katastrophe (malissimo), er musste in San Antonio von Salta kommend übernachten, weil er einen defekten Reifen hatte. Er arbeite in Catua, das seien noch etwa 25 km, davon die nächsten 7 bergauf. Wir verabschieden uns, und Sibylle ist schockiert, weil der Motorradmann 2 Stunden für eine Strecke von etwa 80 km gebraucht hat, die uns 2 Tage gekostet hat. am Abra Arizora
Am Abra Arizora (4300 m) an der Ruta 37.

Abfahrt vom Abra Arizora
Nach dem Abra Arizora
Es geht in eine Quebrada hinein, in deren oberen Ende wir eine riesige Llama-Herde entdecken. Der zugehörige Bauer kam auch gerade des Wegs, und stellte sich als der Vater des Motorradpolizisten heraus. Er war auf unsere Ankunft schon vorbereitet. Gegen 200 Llamas habe er, und dann noch Geissen und Schafe. Im Sommer sei er mit der Frau hier (das Haus haben wir kurz davor gesehen gesehen - ein Lehmziegelbau mit Solarpanel davor), im Winter in San Antonio. Es ist dann hier zu kalt. Die “gerupften” Llamas habe er schon geschoren, November ist die Zeit fuü die Schur. Die Wolle kommt dann nach San Antonio. Wir verabschieden uns und stürzen uns mit nicht allzugrossem Elan in die Pedale. Aber bald ist die Passhöhe des Abra Arizora erreicht (4300 m) und die Abfahrt Richtung Catua kann beginnen. Strasse und Wind machen daraus allerdings alles andere als ein Vergnügen daraus, und mehrere Male entgehen wir nur knapp einem Sturz durch Schleudern in Sandbetten. Wo die Strasse flacher wird, kommen wir wieder oft nicht mehr fahrend voran. Die Fahrrinnen sind zum Teil sehr tief, so dass ein normaler Strassenwagen aufsitzen würde. Dann wieder lange Strecken mit tiefen Waschbrettern...


Oben: Abfahrt vom Abra Arizora.
Unten: Auf dem Weg nach Catua.

Bereits in Sichtweite des Dorfes Catua bemerkt Andi, dass das mittlere Kettenblatt vorne nicht mehr benutzbar ist: die Kette schlenzt bei jeder Kurbelumdrehung. Im Moment ist das nicht so wichtig, wir fahren auch abwärts praktisch nur in den untersten Gängen. In Catua angekommen, werden wir wie Aliens betrachtet, die kleinen Kinder weggepackt (von den grösseren), und die ersten, die wir nach dem Restaurante fragen wollen, laufen davon. Ein Mann gibt uns dann die Richtung an (das Dorf hat 2 Strassen, wir sind offenbar in der falschen). Wir werden von einer grossen Kinderschar auf unserem Weg verfolgt, und nach nochmaligen Nachfragen stehen wir vor dem “Restaurant”, d.h. vor verschlossener Türe. Auch Klopfen öffnet die Türe nicht. Wir setzen uns auf das Trottoir, uns gegenüber 20 Kinder. Auf einmal tut sich hinter uns doch etwas, und die Türe öffnet sich. Es sei richtig, das sei das Restaurant, und es sei offen. Beglückt über diese Auskunft treten wir ein - samt Velos, die wir nicht der versammelten Kinderschar zur Inspektion überlassen wollten. Salat oder ähnliches gibt es nicht im Angebot, dafür Papatas fritas (Pommes frites) und Spiegelei. Wählerisch sein lohnt sich nicht. Am Ende gibt es Koka-Tee.

Die älteste Tochter, Sonja, genannt die “Einsame”, 13, Chefin über 8 weitere Geschwister, die durch Türspalte und die Durchreiche blinzeln, soll uns dann den Dorfladen zeigen. Dort angekommen, stellen wir fest, dass der erst in ein paar Stunden wieder öffnet. Für Sonja kein Problem, sie geht den Ladenmann holen. Nach kurzer Zeit taucht der mit einer Kokakaubacke auf und verkauft uns 1 Zwiebel, 1 kg Nudeln, eine Dose Tomatensaft/-sauce und sogar salzige Cracker. Das ist in etwa die Hälfte seines Angebots. Wir müssen nochmal zum Restaurant, um unsere Wassersäcke aufzufüllen. In dessen Küche nahe dem Wasserhahn steht der obligatorische Fernseher, davor eine Kinderschar, einen Film mit messerschwingenden Männern in Grosstadtambiente anschauend.

Zur argentinischen Zollstation
Wieder auf der Ruta 37 fällt Andi auf, dass die mittleren Gänge nicht mehr tun, weil das mittlere Kettenblatt so stark verbogen ist, dass die Kette springt. Wie konnte so etwas passieren? Ein Stein kann es ja nicht gewesen sein. Es bleibt ein Raetsel, ein nicht reparierbares für den Moment. Für die folgende abwärts führende Gerade brauchen wir aber wieder nur das kleine Kettenblatt - der Gegensturm bringt uns manchmal fast zum Stehen.

Auf dem Weg zur argentinischen Zollstation (3900 m). Die Berge im Hintergrund sind der Andenhauptkamm und gehören bereits zu Chile.

Um acht Uhr abends erreichen wir die argentinische Zollstation, und finden erst einmal niemand vor. Gerade als wir das Haus umrunden wollen, öffnet sich aber eine Türe, und zwei Männer in Jogginganzügen treten heraus. Der eine führt uns zu einer Art Garage, wo wir unsere Velos verstauen können. Dort steht neben einem argentinischen Peugeot 504 eine Honda Transalp mit französischem Nummerschild. Von der Garage führt eine Tuer in einen Raum mit 4 Pritschenbetten und einer Kochecke, dahinter noch ein weiterer Raum und ein Bad mit Dusche! Hier könnten wir übernachten - umsonst. Kein schlechter Luxus für diese Gegend. Zuerst müssen aber die Grenzformalitaeten erledigt werden. Wir lassen unsere Pässe einer Inspektion unterziehen, und haben irgendwelche Papierstücke, die wir irgendwo bekommen hatten, zugeben. Dann wird etwas in ein grosses Buch eingeschrieben. Nach knapp einer Viertelstunde ist der Zoll an der Reihe. Es dauert eine Weile, bis eine beleibtere Dame erscheint, und uns fragt, dass wir wahrscheinlich keine Papiere für unsere Velos hätten. Vorgewarnt haben wir die Versicherungsmarken (in der Schweiz ja obligatorisch) eingepackt - das reicht ihr. Damit ist der Weg frei zum Abendessen, wo wir auch unseren Nächtigungskollegen kennenlernen. Es ist ein Lothringer, der sehr gut Deutsch spricht. Er ist für neun Monate in Südamerika mit seinem Motorrad unterwegs. Die 35 Stunden-Woche der Jospin-Regierung macht das möglich: die Umstellung von 39 auf 35 Stunden wurde bei seinem Arbeitgeber EDF nicht mit neuem Personal aufgefangen, also haben die Leute vier Jahre lang Überstunden gescheffelt. Die baut er jetzt ab.

Sternklare Nacht. Stürmisch. Etwas mehr als 40 km, plus 350 m, minus 400 m. Ein Lastwagen, 4 PKW (einer zweimal gesehen), ein stehendes Töff (Motorrad).

Argentinische Grenzstation - Sicopass - Chilenischer Grenzstation, Sa. 30.Nov. 2002 (Sibylle)

In der Frühe kochen wir uns einen wärmenden und stärkenden Kakao und fahren los, d.h. weil unser Kreislauf noch zu schwach ist und die Steigung zu stark, schieben wir schon bald. Entgegen der Behauptung der Zöllner, dass der Wind immer um 14 h beginnt, weht uns jetzt schon ein leichter Gegenwind ins Gesicht. Die schlechte Kiesstrasse trägt auch nicht gerade zu unserer Erheiterung bei. Jedenfalls bewegen wir uns im Zeitlupentempo bergan, wobei ich denke, dass wir schneller zu Fuss wären und Andi meint, die Zeit sei in dieser Gegend kein Argument. Bis wir die popeligen 11 km zur Grenze geschafft haben, ist es schon fast Mittag. (Bitte jetzt keine Berechnungen zu Stundenkilometern anstellen...) Die grossen grünen Schilder, die die Grenze zu Chile signalisieren, wirken in der einsamen Wuestenlandschaft eher bizarr. Desweitern steht auf diesen Schildern, dass hier der Sicopass ist, was wirklich sonst nicht ersichtlich wäre, da die Strasse unvermindert weiter ansteigt. Eine seltsame Art von Pass, aber es bleibt uns nichts anderes übrig, als noch eine Stunde um Höhenmeter zu ringen. Dann wähnen wir uns auf dem richtigen Pass und erquicken uns um die Ecke im relativen Windschatten. In der Meinung, dass die Strasse auf der chilenischen Seite besser sei, fixiert Sibylle die Füsse auf den Klickpedalen und steigt mit neuer Energie rein. Aber nicht lange, denn auch hier lauern Kiesmulden, in denen frau ins Rotieren kommen kann. In Kürze befindet sie sich auf dem harten Boden, wo Andi sie etwas beduselt vorfindet. Der Fuss ist zum Glück nicht verdreht und die Hand nur an zwei Fingern mit staubbedeckten Schürfwunden vereitelt. Sie profitiert von Andis hervorragendem Bergwachtwissen und ist im Nu medizinisch versorgt. Andi kommt schnell zur Einsicht, dass ich wegen zwei kleiner Hautwunden nicht ins Spital muss, was ja auch mindestens 200 km von hier entfernt wäre. Auffahrt zum Paso de Sico
Oben: Blick zurück vom "Paso de Sico Richtung Argentinien.

Unten: Am Paso de Sico (4080 m), ein Pass, hinter dem die Strasse weiter ansteigt.
Am Paso de Sico
Der echte Paso de Sico
Der "echte" Paso de Sico (4400 m), der auf der Landkarte nicht exisistiert.
Die Strasse führt uns überraschenderweise weiter in die Höhe und sei es wegen der Steigung, des Gegenwindes oder der Schwäche, wir schieben die Räder hauptsächlich. Drei auf dem Motorrad vorbeirauschende Salzburger bestätigen uns, dass wir nicht die einfachste Route gewählt haben. Ein schwacher Trost, der uns wenig nutzt, und so machen wir halt weiter. Auf einem flacheren Stueck versuchen wir, unsere Raeder wieder per Pedalbetrieb vorwärts zu bewegen, doch ein starker Seitenwind bläst Sibylle zweimal buchstäblich vom Velo, worauf sie das Rad bevorzugt wieder schiebt. Der Wind fühlt sich an wie in der Windmaschine in Neuchatel an der Expo 02, was uns vermuten lässt, dass er schon mit stolzen 100 km/h über die Anden bläst. Schliesslich befinden wir uns glücklich auf einem Pass von 4400 m und finden, dass wir uns eine Zwischenmahlzeit verdient haben.

Eine Abfahrt mit bester Aussicht auf eine Salzlagune ist von kurzer Dauer, dann kämpfen wir uns gegen den Wind durch die Ebene zum chilenischen Zoll- bzw. Polizeiposten, der in der kargen Landschaft von weitem ersichtlich ist. Und weit ist es tatsächlich noch, denn die baumlose Gegend täuscht. Unterwegs bläst mir der Wind trotz Sonnenbrille die Linsen aus den Augen und ich verstaue sie samt Staub in der Dose. Die tiefstehende Sonne lässt das spärliche Büschelgras gelb leuchten bis zum Sonnenuntergang. Dann wird es dunkler und vor allem markant kühler. Mit letzter Kraft bewegen wir uns zum Zollhaus, wo wir gefundenes Fressen für gelangweilte Zöllner sind. Nachdem sie unsere Essensvorräte inspiziert haben und uns eingeschärft haben, dass wir all diese bis San Pedro oder noch besser bis morgen früh gegessen haben sollen, können wir uns in einer lotterigen Baracke niederlassen. Da alles schmutzig ist und die offenen Tueren und Fensterlöcher den Wind auch hier passieren lassen, beschliessen wir, das Zelt in der Baracke aufzuschlagen. Wir kochen uns Pasta und verwerten die von Chile verschmähte Zwiebel (es darf nichts Pflanzliches oder Tierisches eingeführt werden). Und endlich, im doppelten Schlafsack wird uns warm und wir schlafen den Schlaf der Gerechten. 35 km, plus 550 m, minus 150 m. 3 Autos, 3 Motorräder (eines schon am Vortag gesichtet).

Chilenische Grenzstation - San Pedro de Atacama, Sonntag, 1.Dezember 2002 (Andi)

Nach den wenig guten Erfahrungen, ohne Frühstück zu starten, gibt es heute wieder Kakao, wiederum aus den diversen Pulvern zusammengerührt. Nach dem Zusammenpacken klopfen wir noch einen der chilenischen Grenzer aus dem Häuschen, um Wasser zu bekommen. Wir füllen beide 4 l Saecke wieder auf, und erfahren dabei noch, dass die drei Leute dieses Postens immer einen Monat hier sind, und dann für einen Monat in Calama. Heute Abend ist Ablösung. Sibylle meint, dann könnten sie uns ja gegebenenfalls von der Strasse auflesen...

Um halb neun treten wir den Kampf mit dem schon recht starken Wind an. Nicht lange in den Pedalen und dafür bald schon schiebend kämpfen wir uns gegen den nächsten Pass. Wir schaffen ihn allerdings nicht, weil ein mit drei Maennern besetzter Pickup mit leerer Ladeflaeche auf einmal neben uns steht, und Sibylle gerne mitfahren würde. Überredet packen wir die Säcke von den Velos und alles auf die Ladefläche. So sparen wir uns die letzten 40 Höhenmeter auf den 4500 m hohen namenlosen Pass, und leider auch die folgende Abfahrt durch grandiose Landschaft. Das Campamento El Laco sehen wir so auch nur im Vorbeifahren, aber es sieht nicht danach aus, als würden wir hier viel verpassen. Nach 15 - 20 km und 300 m tiefer werden wir wieder ausgeladen, und können unsere Velos, bestaunt von einer Gruppe Mineros, wieder bepacken. Die Leute suchen hier nach Wasser, und arbeiten für eine Firma, die irgendwie AquaTech oder so ähnlich heisst. Anschliessend geniessen wir die weitere Abfahrt zur malerischen Laguna Tuyajto. Sobald es wieder flach ist, bringt uns der Wind mehrmals zum Stehen. Ein weiterer Wagen der AquaTech fragt uns bei einer Rast, ob wir ein Problem hätten. Bis auf den Wind haben wir keines. Etwas später hält ein fast leerer Tourbus von “Desert Adventure” und bietet uns Mineralwasserflaschen an. Wir lehnen dankend ab (wir haben genug Wasser und Gepäck haben wir schon genug) und versuchen uns mit Windschattenfahren, da Sibylle wieder ein paarmal vom Wind fast aus der Bahn geworfen wurde. Das Windschattenfahren ist auf den Sandstrassen gar nicht so einfach, weil die Spuren, in denen man gut fahren kann, nur 20 bis 30 cm breit sind, und Steine und Windböen einen schnell aus dieser Spur treiben. Dann kommt man in den weichen Sandhaufen nebenan und die Balanciererei geht los. Meist endet sie mit Stillstand. Einigermassen besser aber kommen wir auf diese Art voran. Hin und wieder stoppt uns auch eine Ladung Sand, die uns der Wind ins Gesicht spritzt.

Eine Talquerung bringt uns dann Seitenwind ein. Und das ist fast schlimmer als der Gegenwind. Also versuchen wir nebeneinander zu fahren, was sogar ohne Kollision gelingt. Gerade, als wir wieder nach Westen kehren, und damit wieder in echte Gegenwindrichtung, wird Andi das Speichenharfenspiel gespielt. Das ertönt, wenn etwas ins Laufrad faellt. Etwas perplex untersucht er zuerst das Vorderrad, um das es sich hier offensichtlich handelte, und da fehlt nichts auffälliges, das heisst, keine Speiche gerissen. Was ist passiert? Die rechte Fronttasche ist abgefallen. Leider nicht, weil sie nicht gut aufgehaengt war, sondern weil der Lowrider (die Halterung für die Taschen am Vorderrad) abgebrochen ist. Ein rechter Schock, denn wir sind 150 km vor San Pedro, etwa 80 km vor der nächsten Ortschaft und das mit einem, mit unserem Mitteln, nicht behebbaren Schaden (zumindest sah es im ersten Moment so aus). Umpacken geht auch nicht, da praktisch alles aufgepackt ist, was irgend geht. Mit einer Tasche einseitig fahren ist ebenfalls unmöglich. Fazit: Ende Pedalen. Warten auf ein Auto oder einen Lastwagen. Weil gerade Mittag ist, setzen wir uns an den Strassenrand so gut als möglich in den Windschatten eines Felsblocks und essen Kekse und warten. Im schlimmsten Fall können wir schon 2-3 Tage warten, verhungern oder verdursten würden wir nicht. Ausserdem, heute sollen doch die Grenzer abgelöst werden... Gebrochener Lowrider
Ein gebrochener Lowrider beendet die Fahrt auf der letzten Etappe vor San Pedro de Atacama am Aufstieg zum letzten Pass beim Vulkan Miniques.
Ein Ort zum Zeitvertreib...
Ein Ort zum Warten...
Wir haben saumässiges Glück. Nach einer dreiviertel Stunde kommt ein Auto, ist aber voll. Nach eineinhalb Stunden kommt ein Pickup in voller Fahrt angebraust, besetzt nur mit 2 Leuten und leerer Ladefläche! Es ist ein französisches Paar, und nach ein wenig Zögern können wir unsere Sachen aufladen. Sie gingen zur Laguna Miniques, aber das sei wenigstens näher am nächsten Ort, Socaire. Nach und nach stellt sich raus, dass sie nur einen Abstecher zu den Lagunen machen wollen, und sie dann nach San Pedro de Atacama weiterfahren. Wir könnten natürlich mitfahren. Das ist eine äusserst angenehme Wendung. Das klingt nach Dusche, Bett, nach sauber, kein Sand und Staub, nach gutem Essen und so weiter. Und noch dazu sehen wir die Lagunen Miniques und Misanti, wo wir mit dem Velo wohl nicht hingekommen wären...


So gelangen wir in einem “Affentempo” nach San Pedro, finden ein brauchbares Hotel und können uns nicht erkenntlich zeigen bei unseren “Rettern” (weil sie alles ablehnen). Jetzt sind wir 3 Tage zu früh hier und gezwungen, uns zu erholen;-)

San Pedro de Atacama, Montag, 2.12.2002

Andi hat eine eMail an die Herstellerfirma des Lowriders (Tubus) geschickt. Sie wollen prüfen, wie lange es geht, dass sie Ersatzteile nach Chile schicken. Vielleicht können wir schon bald wieder weiterradeln.

Wir besuchen das lokale Museo Archeologico, welches für ein Dörfchen mit weniger als 1000 Einwohnern imposant gut ist - es wurde von einem belgischen Pfarrer gegründet und wird zusammen mit der Universidad Catholica in Antofagasta geführt. Sehr eindrücklich sind die Darstellungen, wie Steinwerkzeuge hergestellt und für was sie alles benutzt wurden. Ebenfalls beeindruckend sind einige Mumien, die allerdings in nächster Zeit ersetzt werden durch realistische Kopien. Der Grund für diese Massnahme ist die Rücksichtnahme auf die Würde der Toten - einige von wir wären wohl auch nicht so glücklich, wenn irgendjemand einige unserer Verwandten aus dem Friedhof holen und ins nächste Museum stellen würde.

Das mittlere Kettenblatt wurde von einem lokalen Velomechaniker für etwa 3 Franken wieder gerade geklopft. Seiner Meinung kommt das vom Schalten mit zuviel Kraft. Einige verbogene Kettenglieder deuten darauf hin, dass der Mann wahrscheinlich recht hat. Diese Sandmulden! (Wenn du auf weichen Untergrund kommst, wirst du stark abgebremst. Ausserdem dreht das Hinterrad meistens durch. Um eine halbwegs realistische Chance zu haben, aus der Mulde fahrend herauszukommen, versucht man oft noch zu schalten - in diesem Fall ein Fehler.)

Auf dem Weg zum Veloladen treffen wir unsere französischen “Retter” und machen mit ihnen ein Treffen zum Abendessen ab. Sie haben ein kleines, meist nicht so von Touristen überfülltes Restaurant vorgeschlagen. Es gibt dort keine Speisekarten, und wenig für nicht-Fleischesser wie Andi. Trotzdem wurde es ein sehr gemütlicher Abend.

Ausblick

Einstweilen erkunden wir die nähere Umgebung und werden “wie Schattenparker” mit einer Tour zu den Geysiren von El Tatio fahren. In einigen Tagen, wenn wir die Flamingos und die Geysire gesehen haben, werden wir nach Calama fahren - je nach Ersatzteillieferung mit Velo oder Bus. Dann geht es nach mit dem Bus weiter nach Santiago de Chile.

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... Sibylle y Andi, 3. Dezember 2002, San Pedro de Atacama, Chile
updated 17. März 2003