Argentinien, Chile 2003/04

6. Eintrag, Etappen 8 - 10

Jujuy - Lipan, Mittwoch, 17.12.2003

Vielleicht gibt es ja einen Leser, der so wie ich auf diesen Tag hingefiebert hat. Na gut, Fieber ist vielleicht nicht das richtige Wort, aber der Paso de Jama ist für meine bescheidenen Verhältnisse schon eine Herausforderung. Ein paar nackte Zahlen: von San Salvador de Jujuy bis San Pedro de Atacama sind es 514 km, davon etwa 180 km auf ripio (Sand- oder Schotterstrassen) von mässiger Qualität. Nun, die Route ist und wird stark verbessert, aber ganz einfach ist damit immer noch nicht. Ab dem Lipan bis 40 km vor San Pedro liegt die Strecke immer über 3500 m, meisten auf 4000 m und höher. Zwischen Purmamarca und Susques, Susques und der argentinischen Grenzstation, der und San Pedro gibt es kein Wasser. Im Allgemeinen wird 5 - 9 Tage angegeben, die meisten reden von 7 Tagen. Für einen wenig trainierten Asphaltradler wie mich ist das dann doch eine Herausforderung. Der oder die ein oder andere verstehen vielleicht, dass ich ein wenig nervös war in der Nacht davor. (Das schreibe ich jetzt nur, um die Spannung zu erhöhen.)

Frührmorgens geht es los (zehn nach sieben). Alejandro wünscht mir noch alles Gute. Ich hoffe, ich muss nicht zu sehr darauf zurück kommen. Die Strecke aus der Stadt heraus ist gut zu fahren. Die Berghänge sind grün (das beruhigt), und die Bäche sind voller Wasser - dank der letzten beiden Regentage. Der Himmel blau, fast wolkenlos. Die Strasse durch die Quebrada de Humahuaca ist eine wichtige Verbindungstrasse nach Bolivien - und Chile. Der Paso de Jama ist zur wichtigsten Verbindungsstrasse zwischen Nordargentinien und Chile ausgebaut worden. Die Chilenen haben ihren Teil in den letzten Jahr daher vollständig geteert. Die Argentinier haben den längeren Teil und weniger Geld, weswegen es wohl ein wenig dauern wird, bis sie soweit sind.

Schon am Vormittag setzt Wind ein - das Tal hinauf (der Wind, der zuerst das Fudi kitzelt). Das treibt an, wortwörtlich. Bis zur Abzweigung nach Purmamarca vergeht die Zeit sehr angenehm, obwohl es schon 1000 Höhenmeter höher liegt. Das Seitental von Lipan, in dem Purmamarca liegt, begrüsst mich mit Gegenwind, und einem hormongesteuerten Lastwagenfahrer, der mich erst irrsinnig knapp überholen muss, um dann 20 Meter vor mir abrupt stehen bleiben muss, um zwei Tramperinnen auszuladen. Die verlieren dabei eine halbe Klopapierrolle, die fröhlich im Wind um den Lastwagen flattert.

Purmamarca ist bekannt wegen des siebenfarbigen Hügels. Das sieht, sogar in der Mittagssonne, wirklich schön aus. Irgendwie hat der Ort auch eine angenehme Atmosphäre. Es gibt, gleich ums Eck von der Plaza, wo (gerade?) ein Indiomarkt ist, einen netten Comedor (eine Essstube) mit auch gutem Essen; jedenfalls waren die Humitas (Maispampe in Maisblättern gekocht) und Empanadas gut. Am Ende bekomme ich auch meine schon leeren Wasserflaschen aufgefüllt. Insgesamt habe ich jetzt gegen 12 Liter Wasser, fast ein bisschen viel f&uum;r zwei Tage. Aber ich bin nicht sicher, ob ich es bis Susques in zwei Tagen schaffe, und auf der Landkarte und aus sonstigen mündlichen Informationen zeichnete es sich ab, dass es zwischen hier und Susques kein Wasser gibt.

Weil es noch so früh am Tag ist, beschliesse ich, noch nicht in Purmamarca zu übernachten, sondern noch etwas weiterzufahren. Jeder gewonnene Höhenmeter zählt am Ende. Das Problem ist nur, dass man nie weiss, auf was man sich einlässt. Die Landkarten zeigen kein brauchbares Relief, so dass man nie genau weiss, wo man mit einem brauchbaren Zeltplatz rechnen kann. Und genau neben der Strasse ist dann auch nicht gerade der Hit. Der Anfang sieht allerdings vielversprechend aus. Die Strasse ist nach ein paar Kilometern nach Purmamarca (entgegen der Landkarte) wieder geteert - bis fast zur Passhöhe. Und das Tal sieht gut aus. Farbige Gesteine und Kakteen verleihen dem Ganzen einen Filmcharakter. Ausserdem stimmt der Wind - und das treibt an - physikalisch wie psychisch. Nach einer kurzen Pause bei der Puerta de Lipan (auf etwa 3000 m) wird das Tal enger, und die Strasse macht enge Schlaufen am Berg entlang. Das ist immer ein wenig schwieriger, was die Zeltplatzsuche angeht. Es ist immerhin schon gegen vier Uhr, und um acht Uhr wird es langsam (oder für unsere Verhältnisse schnell) dunkel. Das heisst, gegen sechs Uhr sollte langsam etwas in Sichtweite sein, was ein Zeltplatz sein könnte. Natürlich ist der Spielraum etwas eingeschränkt, sofern man nicht mehr nach unten fahren will - aufwärts ist man langsam unterwegs. Aber das Glück ist mir hold; dank Bauarbeiten an der Strasse gibt es viele Buchten und Gruben etwas abseits von der Strasse, die genügend Schutz für eine Nacht bieten (aus verschiedenen Gründen halte ich selbst es für ratsam, auch etwas ausser Sichtweite der Autofahrer der Strasse zu sein. In einer Kehre auf 3500 m findet sich ein guter Platz. Mittlerweile ist Nebel aufgezogen, und kurz nachdem ich im Zelt liege, klatsche dicke Tropfen auf das gute alte Zelt. Sogar zwei Donner hallen durch das Tal. Gegen zehn Uhr wird es still - kein Wind, kein Regen mehr. Wenn ich es richtig im Kopf habe, waren das heute 2250 Höhenmeter; der grösste Höhenunterschied, den ich bisher auf einer Radreise gefahren bin. (Ja, selbstverständlich gibt es Leute, die fahren ein paar Tausend Meter mehr am Tag; aber erstens sind die nicht meine Klasse, sondern irgendwo weit weit oben, und zum anderen fahre ich auch mit 30 kg Gepäck.)

Lipan - Susques, Donnerstag, 18.12.2003

Gut ausgeruht beginne ich die zweite Etappe. Schon um 7:12 h beginnt dieselbe. Ein wenig steckt die Anstrengung vom Vortag schon noch in den Muskeln, oder ist es schon die Höhe? Jedenfalls ist das Wetter wieder astrein: strahlend blauer Himmel. Schon gleich sieht man 6 Serpentinen, die in den Hang geschnitten sind. Sie sehen ein wenig beeindruckend aus, aber aus der Nähe betrachtet verlieren sie ihren Schrecken. Hier (etwa 3700 m) gibt es auch Wasser, das praktischerweise aus einem Rohr fliesst (einen Filter würde ich trotzdem empfehlen). Ich habe aber noch genug, und Ballast nicht gerade nötig. Von unten sah es so aus, als wäre am oberen Ende der Serpentinen die Passhöhe erreicht. Leider nein, nur hört der Asphaltbelag irgendwo darin auf. Aber, auch wenn die Strasse deutlich schlechter zu fahren ist, auch wegen einiger Baustellen, wo sie gerade Sand verschieben, der Weg zur Passhöhe ist kein grosses Hindernis mehr. Paso Lipan, 4170 m, geschafft. In der Ferne glänzt die Salinas Grandes.

Die Abfahrt es ein etwas zweifelhaftes Vergnügen. Die Strasse ist grottenschlecht, und ich bin froh, dass ich sie nicht den anderen Weg fahren muss. In einer kleinen Schlucht (Quebrada) überholt mich ein Lastwagen und fängt an zu hupen. Vor ihm springt ein Rudel Vicunas über die Strasse und den Hang hinauf - zum Greifen nah. Dummerweise ist gerade das Weitwinkel auf der Kamera, und die Tiere haben anderes vor, als auf meine Fotobereitschaft zu warten.

Kurz vor der Salinas Grandes wird die Strasse wieder eine Teerstrasse. Allerdings eine, die es in sich hat. Löcher und zwischendrin Sandstücke erzwingen ein wenig Aufmerksamkeit (Auch wenn auf der Strecke verhältnismässig viel Verkehr ist, kann es doch die ein oder andere Stunde gehen, bis wieder ein Fahrzeug vorbeikommt).

Vor der grossen Salina kreuzt die legendäre Ruta 40, die von Feuerland bis Bolivien führt. Sie kommt von Süden von San Antonio de los Cobres, und sieht wie gefürchtet aus. Hier aber nicht mein Problem, mein Weg führt auf der jetzt guten Teerstrasse bei beginnendem Wind, der zuerst die Nase trifft, über die Salinas Grandes (ein riesiger Salzsee ohne Wasser, von dem jetzt Salz abgebaut wird. Alejandro vom Yoh-Wahi hat eine aus der Salinas Grandes ein Platte, die als Tischplatte in der Bar fungiert. Sieht gut aus.). Am Anfang der Salinas-Überquerung ist eine Art Haus-Autokombination, wo ein Mann und seine zwei Jungs Salzskulpturen verkaufen. Ob man von so was leben kann?

Neben der Strasse und weiter weg erkennt man die Salzabbauanlagen. Aber ich sehe fast niemanden. Nach der Salinas steigt die Strasse leicht an, und der Wind wird stärker, aber noch lange nicht problematisch. Erst bei Einfahrt in die Quebrada Mal Paso wird es unangenehm. Zum einen ist es mittlerweile sehr heiss, und in der Schlucht wird der Wind noch zusätzlich kanalisiert. Das trocknet den Hals aus, so dass es bald recht kratzt, trotz dauerndem Wasser trinken. Gemeinerweise kommt man aus der Quebrada und denkt, es wäre geschafft, und die Abfahrt nach Susques (von 3900 m auf 3650 m) kann beginnen. Leider in Trugschluss, denn die Gegend ist von Wadis durchschnitten (meist trockenen Bachbetten), und das heisst ein frohes Auf- und Ab. Zur Versöhnung schauen ein Paar Nandus (die südamerikanische Variante des Strauss) neben der Strasse vorbei. Irgendwann findet die Strasse den Weg ins Tal, und mit einem Mal um die Kurve bin ich in Susques. Dort gestaltet sich die Suche nach einem Hostal oder Hospedaje als schwierig. Zweimal werde ich in verschiedene Richtungen geschickt. Oder jedenfalls habe ich es so verstanden. Dann fand ich zwei Hospedajes, aber die fanden nicht ganz meinen Geschmack. Mit 5 Pesos (etwa 2.50 CHF) waren sie nicht gerade teuer, aber ich war irgendwie auf der Suche nach einem guten Bett und dem Luxus einer Dusche (Warmduscher, ich weiss; hätte aber auch kalt sein dürfen). Nach einigen Erkundigungen hiess es, dass es ein Hotel ausserhalb von Susques gibt, etwa 1 km weit (eigentlich war ich auf der Suche nach einem Hostal namens Pastos Chicos, das mir in Salta und Jujuy empfohlen worden war, aber auf deren Flyer war nichts zu sehen, wo das sein sollte - nur eine Internetadresse, die aber nicht mehr funktioniert; sie haben eine neue. Am nächsten Tag fand ich es, etwa 3 km weiter an der Strasse.). Das sah gut aus, kostet aber stolze 70 Pesos - mit Frühstück. Meine inner Überredungsmaschine lief auf Hochtouren auf und rechnete mir vor, dass für die letzte Zeltübernachtung die Kosten ja Null waren, und sicher noch zwei Nächte zum gleichen Tarif anstehen. Der Rest musste sich geschlagen geben.

Das positive an dem Schuppen war, der sich wirtschaftlich gar nicht rentieren kann (war mal wieder der einzige Gast, und das Registrationsbuch zeigt alle paar Tage mal jemand), dass es auch gleich was zu Essen und Trinken gab. Es gab Radleressen, d.h. Tallerines (Spaghetti) und gemischten Salat, mit so ziemlich allen, was man sich darin denken kann. Es war soviel, dass ich kapitulieren musste. Leider. Die Dusche tat doch gut. Und das Bett war doch bequemer als die Thermarest (so gut die ist).

Susques - irgendwo vor der Grenze, Freitag, 19.12.2003

Die gute Hoteldame musste meinetwegen schon um 7 h auf den Beinen sein. Dann gab es schon Frühstück. Ein sehr reichliches. Es hat doch was gutes, sein Geld für Hotels in der Puna zu verschleudern. Auf der Rechnung waren dann noch ein paar Pesos, die ich nicht ganz verstanden habe. Aber es war mir, ehrlich, s*egal.

Erst gegen acht Uhr begann die Reise. Erst noch auf Teer über sanfte, rollende Hügel, immer leicht ansteigend. Dann, als es in eine Quebrade ging, war Schluss mit Lustig, d.h. Asphalt. Zum Trost war die Strasse halbwegs in Ordnung. Das heisst, an den steileren Stellen immer noch in den unteren Gängen fahrbar. Offenbar wird auch hier an einer neuen Strasse gebaut, aber das sieht noch nach viel Arbeit aus. Das Ende der ersten Strapaze markiert ein namensloser “Zwischenpass” mit knapp 4100 m Höhe. Danach kurvt es sich abwärts zur Salina Olaroz, die mit dem Salar de Cauchari verbunden ist, an dessen südlichen Ende das legendäre Olacapato der Paso de Sico - Route ist. Entlang der Salina wird die Strasse langsam zum Albtraum. Wie die Hoteldame in Susques schon berichtete, gibt es viele “kleine Steine”, aber es gibt alles: Sandkisten, Wellblech, Felsen (das ist wie Kopfsteinpflaster, wo man nur jeden dritten Stein verlegt). Immerhin, noch kein Wind.

Bis zwei Uhr habe ich immerhin ein paar Tiere gesehen, und erreiche die Ruta 70, die nach Süden nach Cauchari/Olacapato/Catua (Paso de Sico) führt, nach Norden nach Olaroz Chico und Olaroz Grande. Ein guter Zeitpunkt für eine Pause, nur kein guter Ort. Immerhin, kurz davor habe ich einen Radfahrer gesehen. Offenbar ein Arbeiter von einer in der Ferne sichtbaren Salzabbaustelle. Es gibt tatsächlich einen Radweg mitten über den Salar (die Autos fahren weiter aussen rum).

Nachfolgend steigt die Strasse leicht an, und es passiert nicht viel ausser ein paar Lastwägen, die manchmal etwas abbremsen, meistens aber nicht. Meistens blieb ich stehen (je länger, desto freiwilliger), um die fliegenden Steine und den Staub abgewendet zu erwarten. Die Strassenseitenwahl wurde durch die Windrichtung immer mehr mitbeeinflusst, sobald ein Lastwagen in Sichtweite kam. Das war dank der paar hundert Meter langen Staubfahne schon lange vorher der Fall. Meistens sind die Typen ja sehr nett und winken etc.

Auffallend viele Lastwagen aus Paraguay sind zu sehen, und erstaunlich viele von ihnen transportieren gebrauchte Autos. Offenbar holen sie diese vom Hafen von Antofagasta und bringen sie über den Jama-Pass und Argentinien nach Paraguay. Es gibt offensichtlich einen hohen Bedarf an gebrauchten Wagen in dort.

Eine Strasse fehlt auf meiner Landkarte (gut, nicht nur eine), welche die Jama-Strasse mit Catua verbindet. Dort gibt es neben der Strasse eine Art Sumpf, so richtig mit Wasser. Leider salzig. Immerhin gibt es dort, bei der Einmündung der Ruta 70A auch ein Haus, welches noch bewohnt erscheint. Nur für die, die nahe dem Verdursten sind.

Das positive: habe wieder einige Vicunas gesehen. Das negative: der Wind geht krankhaft stark. Am Ende schiebe ich das Velo auf der Suche nach einem Windschutz zum Zelten. Ich finde einen Kieshaufen neben der Strasse, gerade hoch genug.

Das Zeltaufbauen bei Sturm alleine ist gar nicht so einfach. Mittlerweile habe ich folgende Taktik: Steine suchen. Meinen Plastikvelosack, der als Unterlage dient (bei Kies und Kaktusunterlagen gut), mit den Steinen fixieren. Dann das Zelt hinten (die windschnittige Seite) mit Steinen fixieren und so schnell als möglich eine schwere Packtasche ins Zelt hinein packen. Dann versuchen, Heringe in den Boden hineinzudreschen (bisher ein Opfer unter den Heringen) und mit den Steinen zusätzlich beschweren. Dann das Gestänge einhängen und das Zelt dranhängen (funktioniert so halt nur mit Zelten ohne eigenes Überzelt).

Es gibt Nudeln mit einer Würfelsosse. Das sind irgendwelche Konzentratdinger, die wie Suppenwürfel aussehen, und die man einfach auf die heissen Nudeln werden kann, wo sie sich auflösen. Sie sind auch von Knorr (was extra beworben wird), und recht praktisch, wenn auch etwas eigen im Geschmack. Irgendwie ist die Benzinflasche aber nicht ganz dicht, was den angenehmen Duft von Tankstelle durch die Nacht wabern lässt. Immerhin, das Benzin, das ich in Catamarca erstanden habe, stinkt zwar wie die Pest, aber es verbrennt fast ohne Russen.

irgendwo vor der Grenze - irgendwo nach der Grenze, Samstag, 20.12.2003

folgt demnaechst, tengo hambre!

andi, 2003-12-22