Argentinien, Chile 2003/04

5. Eintrag

Salta, Sonntag, 14.12.2003

Es wurde am Nachmittag noch interessant. Zwei Velofahrer kamen an: Amerikaner! Die sieht man sonst eher selten auf Velos (wenn ich mich recht erinnere, haben wir mal welche in Jordanien getroffen). Eigentlich haben sonst vor allem Deutsche, Holländer und Schweizer solche Allüren, die manche als Selbstbestrafungstrips missdeuten.

Wie auch immer, die beiden sind vor etwa 21 Monaten in Arizona gestartet und seitdem, mit Ausnahme Kolumbiens (es ist die Rede von einem Engländer, der tatsächlich durch Kolumbien geradelt ist; er ist eine Art Berühmtheit. Angeblich lebt er noch. Für normalsterbliche Velofahrer ist das ein NoGo.) per Velo (und ein paar Mal Bus oder Zug) bis Salta gekommen. Sehr ungewöhnliche Leute für US-Amerikaner sind sie (sie haben natürlich auch eine Webseite, aber das macht sie noch nicht speziell). Tim war ganz begeistert, nach Peru und Bolivien endlich wieder mal anständiges Bier zu bekommen (auch das noch nichts wirklich Besonderes). Die beiden gehören zu den 15 Prozent der Amerikaner, die einen Pass haben. Sind natürlich immer noch mehr als 40 Millionen. Es ist eher sowas, wie jemand auf die Idee kommen kann, nicht alle zwei Jahre ein neues, grösseres Auto zu kaufen, oder mal ein neues Haus (vielleicht mit Pool), sondern seine Hütte zu vermieten, sein Auto zu verkaufen, den Job zu kündigen und sich auf ein Fahrrad (sic!) zu schwingen. Dass das etwas aussergewöhnlich ist, merkten sie, als sie versuchten, die richtigen Velosachen zu besorgen; die meisten mussten sie aus Europa importieren. Tims Rad ist handgemacht. Zudem stiessen sie anfänglich auf, sagen wir mal, Skepsis. Jetzt haben sie 1000 Hits am Tag auf ihre Webseite und oft hundert Mails pro Woche von wildfremden Leuten, die oftmals glauben, dass sie beiden die ersten Menschen auf der Welt sind, die so ein Unterfangen wagen. (Woher mögen diese Leute kommen?)

Die beiden waren schon einmal auf “Ferien” zuhause in den USA, wo sie zu Schulen eingeladen wurden, um den Kindern von der Welt da draussen zu berichten (ja, sie existiert). Eine wirklich spannende Frage an Cindie war, wohin man denn da zum Pinkeln geht. Gute Frage. Wenn sie gesagt hätte, hinter den nächsten Busch (oder Kaktus, so es einen hat), wie hätte am nächsten Tag die Umgebung der Schule ausgesehen? Sie wäre wohl nicht mehr eingeladen worden für einen weiteren Vortrag an dieser Schule. Nun, Gedächtnisse sind bekanntlich kurz, und die beiden wollen noch mal solange reisen wie bis jetzt. Sonst, was sollten sie mit dem ganzen Geld? Ein grösseres Auto? (Gegen 85 Prozent der US-Amerikaner würden hier wohl JA ankreuzen.)

Falls es jemand von euch interessiert: Tim schreibt ein Buch über diese Reise. Es wird sicher auf der Webseite stehen.

Ja, es war eine lange, spannende Nacht mit vielen Geschichten von den Motorradfahrern (dem deutsch-englisch Paar), zwei Schweizern und den beiden Ciclistas.

Salta - Jujuy, Montag, 15.12.2003

Lange, interessante Nächte sind ja selten ganz trocken (vor allem, wenn man mit dem Fahrrad unterwegs ist, und noch eine Flasche Wein hat, die man nicht mitnehmen kann). Und wo das Bier hier so spottbillig ist, dass es manche Briten in grossen Menge im Supermercado holen gehen und bereitwillig verteilen; wahrscheinlich ist das ein Ausdruck wahrer britische Wohltätigkeit (das Bier kostet hier im Supermarkt etwa 1.5 Pesos pro 970 ml, d.h. 0.50 EUR).

Der langen Rede kurzer Sinn: das Aufstehen ist hart. Das Ganze muss in einem Dormitorio natürlich leise geschehen, schliesslich sind die letzten erst kurz vorher eingetrudelt von diversen Unternehmungen. Aber es langt zu einem Frühstück, und sogar zu einem kurzen Palaver mit den Amis. Dennoch, es wird Viertel vor Neun, bevor die Reifen den Asphalt zu spüren bekommen. Der ist mittlerweile sattsam warm. Der Weg aus der Stadt ist so einfach, dass ich ihn sogar auf Spanisch kapiert habe (das entspricht gegenwärtig 2 Ecken).

Ausserhalb der Stadt passiert man einen Polizeiposten, die es hier immer noch oft gibt, aber die mich bis jetzt nie behelligt haben (normalerweise sind sie eher neugierig, was und warum man das so macht; ich fürchte, auch mit perfektem Spanisch ist das nicht immer einfach deutlich zu machen). Es geht durch eine vornehme Gegend, wo die Leute offenbar einen Wettstreit untereinander austragen, wer den grösseren Swimming Pool hat.

Danach wird die Strasse ganz eng, oft nur so drei Meter breit, und folgt einem Flusstal aufwärts. Schöne Schmetterlinge schwirren durch die Luft; einer hockt sich so lange geduldig am Boden hin, bis er seinen Weg durch die Kameralinse auf den Film gefunden hat. Als hoffentlich scharfes Abbild.

Tags davor musste ich zwei Tischtennismatches mit Matteo aus Sardinien austragen (weil er das erste verloren hatte). In der Zwischenzeit noch zwei andere. Im Effekt hatte ich dadurch, da das alles barfuss auf einem Fliessenboden stattfand, im Eifer des Gefechts, eine schöne Blase an der linken Fusssohle, die anständig anfing zu brennen. Weil der Boden natürlich der des Terra Occulta war und nicht der eines Schweizer Spitals, war es auch nicht so sauber. Mit anderen Worten: meine Sohle war kohlrabenschwarz. Nun, Schnee von gestern? Leider nicht ganz, mit jedem Meter tat das Mistding mehr weh und, heiss wie es war, verschwitzt und brennend, dass es eine Freude wahr. Hm, was tun? An den Strassenrand setzen, das Ding mit einem Alkoholtupfer (eine grosszügige Spende!) reinigen (es zischt) und verpflastern. Das beruhigt die Nerven (ist ja jetzt sauber und wird sich nicht entzünden, ganz bestimmt nicht!), aber tut genauso weh wie vorher. Bueno, da muss man durch (Zu Fuss gehen täte ja gleich weh).

Nach ein paar Stunden gemütlich (im Wortsinn!) radeln erreicht man einen Pasito von 1600 m Höhe. Danach geht es durch eine tropische Landschaft, wie im besten Dschungel (auf dem Discovery Channel). Es zwitschert allerorten und dicke Vögel eiern durch die Luft, dass man Angst hat, sie würden aus Versehen den nächsten Baum gleich niedermähen. Schmetterlinge ohne Ende, in knalligen Farben, vor allem gelbe (zumindest waren das die auffälligsten). Eine Art Palmen auf den Bäumen und Lianen, dass Tarzan sein Freude hätte. Und das Beste: das Ganze nicht mal übermässig heiss. (Natürlich berichte ich nur so gut darüber, weil es ja Leute gibt, die nicht verstehen können, warum es Menschen gibt, die bei 40 Grad radfahren. Wahrscheinlich gibt es wirklich nicht viele, die das wirklich verstehen.)

Heute sind die Temperaturen nur bei El Carmen relativ hoch, so heisst der Ort nach Ende der Wunderlandstrecke. Dort gibt es an der Plaza zwei Pizzerien, die eine geschlossen und die andere wirklich ekelig. Eine grossartige Auswahl. Immerhin sah die Pizza besser aus als das Bano.

Nach meiner Siesta in genanntem Etablissment ist der Himmel schon halb bedeckt. Der Rest ist schnell erzählt: auf einer mässig schönen Strasse (die immer mehr Autobahn wird) geht es auf Jujuy zu. In Jujuy ein paar erste Regentropfen. Ich finde auf Anhieb (unter selektiver Befolgung gewisser Einbahnregelungen) ein neues Hostal, das mir eine Argentinierin im Terra Occulta angegeben hat. Es ist erst seit zwei Wochen offen, und wie sie war ich der einzige Gast (am nächsten Tag kam noch einer). Kaum angekommen, beginnt es aus Eimern zu giessen. Offenbar war das Dach des Gemeinschaftsraums für andere Wassermengen dimensioniert, so dass es der Menge nicht statthalten konnte. Ein paar Eimer behoben das Problem - es tropfte neben den Fernseher.

Alejandro, der Manager, ist ein umtriebiger Typ. Ob sich so ein Laden in einem solchen Ort rentieren wird, wage ich aber zu bezweifeln, auch wenn die Leute einen guten Job machen (falls ihr grade nach Jujuy kommt: Yoh-Wahi). Die Stadt ist schon nicht mit Salta vergleichbar. Vielleicht liegt es aber auch am trüben Wetter. Am Abend mache ich noch eine Runde durch die Stadt, wo das Wasser mittlerweile die Strassen in Bäche verwandelt hat. Dumme Idee, das mit den Sandalen.

Jujuy, Dienstag, 16.12.2003

Heute ist letzter Rasttag vor der grossen Etappe - bis jetzt war Vorspiel. Daher vorschlafen. Dann einkaufen - noch mehr essen (ich habe schon zuviel). Sonst durch die mässig interessante Stadt gewandelt, irgendwo Velos von anderen Radreisenden gesehen, aber die zugehörigen Typen dazu nicht. Am Abend packe ich alle Sachen nochmal neu, in der Hoffnung, eine bessere Verteilung zu finden.

andi, 2003-12-22