Im Gegensatz zu gestern ist es heute bedeckt und relativ kühl, so gegen 20 - 25 Grad. Das ist gut so, denn es geht auf ein Mini-Pässchen zu (ein Pasito). Die Strasse steigt gemächlich an, die Pilger gemächlich dieselbe herab. Es gibt auch Velo-Pilger, aber die kommen erst weiter hinten. Es sind viele Pilger.
Nach 56 km erreiche ich La Merced, ein kleines Örtchen am Ende der Provinz Catamarca. Dort gabelt sich die Strasse, und die über das Pasito wird ein wenig steiler. Die Passhöhe ist auf 1120 m, also wirklich nichts besonderes. Von oben sieht man auf das Land im Osten wie vom Deister: alles flach so weit das Auge reicht (da es ein wenig dunstig ist, ist das nicht allzu weit). Die nächsten Kilometer sind rollen und nett zugrinsen: den armen Pilgern, die ihre Velos oder sich selber den Pasito hinaufschleppen. Die meisten sehen nicht so aus, als würden sie des öfteren mehr als 100 m am Stück freiwillig laufen, und einige kommen tatsächlich mit Badeschlappen und ähnlichem Schuhwerk daher. Hin und wieder ein paar Regentropfen.
Beim Erreichen der Ebene überquert man die Grenze zur Provinz Tucuman. Dazu gehört auch ein Polizeiposten, der vor allem Lastwagen kontrolliert. Mich lassen sie unbehelligt und winken nur. Weiter geht es fast immer geradeaus durch intensiv landwirtschaftlich bewirtschaftes Gebiet. Es fällt einem wirklich schwer zu verstehen, dass in so einer Landschaft Leute verhungern können. Was immer ein Wirtschaftssystem vermag, das ist dann doch ein wenig zu viel.
Die Getreidefelder sind schon abgeerntet. Im Moment wird gerade Tabak eingefahren. Dazu haben sie meistens drei spezielle Angänger an einem Traktor, womit sie die Blätter in überdachte Gestelle fahren, wo diese getrocknet werden. Es riecht gar nicht mal schlecht. Jedenfalls besser als die Autos, die immer mehr werden. Es scheint hier als positiv zu gelten, wenn ein Auto möglichst viel raucht. Für die Lastwagen gilt das gleiche.
Langsam werden die Beine schwer und der Tag vorgeschritten. In einem kleinen Städtchen namens Concepcion (weil es in Lateinamerika einige hundert davon gibt, heisst es noch /Tucuman) versuche ich mein Glück, ein Hotel zu finden. Ich frage einen jungen Mann auf einem Velo, und weil es offenbar zu kompliziert ist zu erklären, bringt er mich gradewegs hin. Es ist ein Betonblock und heisst Condor Huasi, aber innen ist es ganz in Ordnung. Wenn man bar bezahlt, kostet es 30 Pesos, mit Kreditkarte gibt es nur andere Zimmer für 46 Pesos. Das Zimmer ist sehr gross, mit Fernseher etc. Was ich noch nicht wusste, war, dass es auch eine Heerschar Mücken sich hier eingemietet hatten, und offenbar waren sie im Gegensatz zu mir mit ihrem Abendessen derart unzufrieden, dass ich als Ersatz fungieren durfte.
156 km, plus 500, minus 700 hm.
Kurz bevor meine Provinzstrasse mit der Nummer 324 in die RP 307 einbiegt, beginnt die Steigung, erst noch recht sanft. Allerdings nicht lange, dann fahre ich in den untersten Gängen durch den subtropischen Regenwald. Es wird richtig mühsam und die Sitzbeinhöcker machen sich schmerzhaft bemerkbar. Nach einer unendlichen langen Zeit (ich nenne die Strecke Tortura de Tafi) und vielen entgegenkommenden Velofahrern wird es flacher und das Tal weitet sich. Doch etwas entkräftet flüchte ich angesichts einer weiteren Steigung in eine Bar einer Tankstelle, wo ich grossspurig 2 Sandwiches bestelle. Der Mann fragt dreimal nach, und ich bleibe dabei. Ich habe hart gekämpft, aber nur 1.5 geschafft. Dafür haben sie mir den Rest eingepackt. Für später. Mit vollem Bauch ist es wieder alles andere als das reine Vergnügen, den letzten Anstieg hinter mich zu bringen und am Stausee entlang die letzten 9 km nach Tafi zu fahren. Weil es mittlerweile Gegenwind gibt, halt mit ein wenig Bremse.
In Tafi gibt es viele Unterkunftsmöglichkeiten, und im Reiseführer wurde das Los Cuartos so gelobt. Es wird gerade was umgebaut, aber sie haben noch Zimmer, versicherten die jungen Damen an der Reception. Für 30, äh 35 Pesos, inklusive Desayuno. Mir war alles recht. Nach dem Abschruppen des Schweisses und ein wenig Ausruhen ging es aber wieder gut genug, dass ich was einkaufen gehen konnte. Eine grosse Flasche Bier machte die Strapazen vergessen, und dann noch das letzte halbe Sandwich...
90 km, plus 1600 hm.
Eine Wolkenbank ist in den Talboden von Tafi hereingeschwappt und macht sich, wie ich, auf dem Weg zum Pass. Sie ist schneller, aber sie musste sich für unser kleines Rennen so verausgaben, dass sie sich buchstäblich auflöste. Oben, kurz vor der Passhöhe des El Infiernillo (die kleine Hölle) fand ein Fest bei einer Kirche statt. Viele Leute, ein paar Marktstände, viele Kinder. Und alle schauen einen an, als wäre man bei der Tour de France oder vom Mond gefallen. Nach etwa 3 Stunden erreiche ich die Passhöhe (3043 m; eine Durschnittsgeschwindigkeit von 5 km/h, da hätte ich genausogut zu Fuss gehen können. Man sollte sich solche Rechnungen sparen).
Die ersehnte Abfahrt erwies sich als wenig lustig. Der Strassenbelag war etwas schlecht, höflich formuliert. Es ging abwärts nur wenig schneller als hinauf. Auf dieser Seite ist es völlig anders als auf der Südseite des Passes: nichts mehr grün, alles braun-grau, Kakteen, Stichelgras. Auf halber Höhe begegnet mir ein Italiener auf seinem Rad. Er hatte schon einige Problem mit seinem Velo, hat aber noch vor, bis Feuerland zu fahren. Er dachte auch an die berühmte Ruta 40, aber nachdem ihn die 5 km Sandstrasse zu den Ruinen von Quilmes nicht gefallen haben, riet ich ihm davon ab. Er werde dann doch wohl besser den Bus nehmen.
Kurz vor Amaicha del Valle gibt es ein Projekt der EU, das Indigenos unterstützt. Es zeigt wohl auch ein Stück weit, wo Argentinien mittlerweile angesiedelt ist: eher in der dritten als der ersten Welt. Ein paar Kilometer weiter ist ein Observatorio Astro Fisico, das eher wie eine Art Volksternwarte aussieht als eine professionelle Anlage. Was genau da gemacht wird, war nicht herauszufinden.
In Amaicha wird die Strasse flacher und gut. Nach einer kleinen Rast in einem architektonisch schönen Tankstellengebäde geht es locker auf gutem, glatten Teer Richtung Quilmes. Dort trifft die RP 307 auf die Ruta 40, die hier vorzüglich ist. Leider wird der Wind, der zuerst die Nase trifft, immer stärker, und wer hin und wieder Velo fährt, weiss, dass entsprechender Wind auch 52 km fast flache Strecke durchaus mühsam machen können. Das war denn auch so.
Wie war ich dann doch froh, als ich die Bodega Etchart erreichte. Nicht, weil die guten Wein machen (v.a. Torrontes, aber auch guten Roten), sondern weil dahinter gleich die Ortseinfahrt von Cafayate kommt. Irgendwie ist das ein einfach angenehmer Ort. Das El Hospedaje, in dem wir letztes Jahr schon waren, hatte auch noch ein Zimmer frei (frisch renoviert), und sogar neuerdings einen Swimming Pool! Eine halbe Flasche Wein am Abend, und...
125 km, plus 1100, minus 1400 hm.
andi, 2003-12-09