Argentinien, Chile 2003/04

2. Eintrag

Dienstag, Buenos Aires, 02.12.2003

Ein Telefon (damit kann man hier arm werden) und das Email-Lesen haben keine Erleuchtung gebracht. Also mache ich mich auf den Weg, die Avenida Santa Fe hinunter Richtung Terminal de Buses de Retiro. Eine leichte Tendenz für den Norden verstärkt sich auf diesem Meditationsspaziergang. Auf dem Weg liegt eine Filiale von El Ateno, einem riesigen Buchladen. Er ist in einem ehemaligen Theater untergebracht, sehr schön. Auf der ehemaligen Bühne ist ein Cafe eingerichtet mit feinen Sachen. Leider haben sie nicht viel Material zu Reisen in Argentinien wie den berümhten Lonely Planet Führer, der irgendwie Biking in South America heisst. Dafür haben sie eine neue Version vom ACA-Atlas (Automobilclub von Argentinien, die sehr gute Karten haben; jedenfalls gemessen an den sonstigen); ich stelle fest, dass einige Routen verbessert worden sind.

Am Ende der Santa Fe gelangt man zu den Wolkenkratzern von Buenos Aires. Sheraton, Torre IBM, Sun, Olivetti, etc. stehen da rum, als wäre keine Krise. Von dort sind es nur noch wenige hundert Meter zum Busterminal. Dort angekommen, habe ich die scheinbare Wahl zwischen wahrscheinlich hundert Gesellschaften. Aber am Ende stellt sich heraus, dass so ungefähr eine noch für morgen einen Platz nach Catamarca frei hat, und mein Velo mitnehmen will. Das kostet 60 Pesos, also knapp 30 CHF und dauert 16 h in einem sogenannten Semi-Cama, das ist ein Bus mit Fast-Liegesitzen. Also, die Entscheidung ist gefallen.

Ich beschliesse, das ganze als Projekt zu bezeichnen und benenne es CuG. Was das heisst, werde ich erst am Ende verraten.

Mittwoch, Buenos Aires - San Fernando del Valle de Catamarca (Catamarca), 03.12.2003

Am Morgen packe ich meine Siebensachen zusammen, um danach noch den berühmten Toten Buenos Aires’ einen Besuch abzustatten: diejenigen, die im Laufe ihres Lebens auf machmal dubiose Weise genug zusammengekratzt haben, um sich eine Grab im Friedhof von Recoleta leisten zu können. Hier finden sich die Monumentalgräber der berühmten Familien der Stadt (und des Landes). Aber auch die Evita Perron hat es in ein kleines Grab hierher geschafft, nachdem ihre einbalmsamierte Leiche auch schon in Mailand und Madrid begraben gewesen sein soll. Es heisst, Perron-treue Soldaten hätten die Leiche eines Widersachers entführt, um Perrons Leichnam in Argentinien bestatten zu können. Jenselbiger liegt jetzt offenbar einen Block von ihr entfernt.

Auf dem Rückweg zur Wohnung unserer Bekannten bleibt noch Zeit für einen Cafe con Leche mit 2 Medialunas (eine Art Croissant mit Zuckerguss) für 2.50 Pesos. Da der Franken zur Zeit sehr hoch ist (etwa 2.15 Pesos pro 1 CHF), könnte man sich hier totfressen (und erst hinterher bankrott gehen).

Weil es ein wenig mühsam ist, die Taschen alle einzeln hinunterzubringen und dann auf das Rad zu hängen und man nie weiss, wer sich zwischenzeitlich an den Taschen bedient hat, wenn sie unbeaufsichtigt herumstehen (geklaut wird hier angeblich mittlerweile eine Menge; der Film "Nueve Reinas" sei nicht so weit hergeholt), montiere ich alles in der Wohnung ans Rad und kämpfe mich damit durch die viel zu engen Türstöcke und durch das Treppenhaus ins Erdgeschoss. Schweisstreibende Angelegenheit. Als nächstes geht es durch die Avenida Santa Fe bis zur Maipu und dann irgendwie zum Busterminal von Retiro. Das ist nicht so einfach mit dem Rad, weil die Strasse etwa 8 Fahrstreifen hat und Argentinier als nicht so besonders gute Autofahrer bekannt sind (Sie sehen das vermutlich etwas anders; die Deutschen halten sich ja auch zu 85 Prozent für überdurschnittlich gute Autofahrer;-). Ihre Autos sehen auch häfig so aus, und sehr viel sind auch sehr alt. Da Argentinier auch sehr extrovertierte Leute sind, ist zu befürchten, dass das Augenmerk der Besitzer oft mehr auf die korrekte Lackierung des Spoilers als auf die Funktionstüchtigkeit innerer Teile gerichtet ist. Langer Rede kurzer Sinn: Es gibt in der Nähe eine Fussgängerampel, die mir das Herumzirkeln im dichten Verkehr ersparte.

Am Busbahnhof treffe ich Adrian noch einmal, um die Schlüssel zurückzugeben und Adios zu sagen. Er war gestern bei einem Vorstellungsgespräch bei einer Zeitung, und hat gute Chancen auf die Stelle. Seiner Meinung nach sind derzeit gegen 40 Prozent der Portenos (Einwohner von Buenos Aires) arbeitslos. Das sieht man auch an jeder Ecke. Die Cartoneros, über die Adrian einmal einen Artikel für www.ungefiltert.info geschrieben hat, sind allgegenwärtig, und mittlerweile richtig organisiert. Die Piqueteros sind ebenfalls besser aufgestellt und demonstrieren oft und nachdrücklich. In so einer Situation wieder einen richtigen Job zu haben, ist schon fast ein Privileg. Traurig, aber wahr. Der Bus kommt ein wenig verspätet, und Adrian hilft mir beim Verladen. Das Velo muss noch um die Räder erleichtert werden, damit es in den Stauraum passt. Es ist ein Doppeldeckerbus, wo die Staufächer im hinteren Teil zwischen Motor und der unteren Kabine sind. Eine enge Angelegenheit, und da nicht nur Leute mit viel Gepäck unterwegs sind, sondern die Busgesellschaft auch eine Art Postdienst betreibt, wird das gerammelt voll. Die argentinische Staatspost ist sehr teuer, und gilt als unzuverlässig (man soll keine wertvollen Sachen damit verschicken), so dass sich hier ein Feld für alle möglichen Alternativen aufgetan haben. Mit dem Resultat, dass die selten billiger sind, ausser wenn man selber einen Grossteil der Arbeit auf sich nimmt. Wer die Auswirkungen der globalisierten Liberalisierung im echten Leben ansehen will, ist hier am richtigen Ort.

Der Bus startet die Reise durch das Labyrinth der Autobahnen in den Vororten von Buenos Aires, und nach einer Stunde oder so erreichen wir die Pampa. Die ist so interessant wie der Film auf dem Videoscreen. Für einmal ist der Ton recht leise eingestellt, wahrscheinlich, weil es ein englischer Film mit Untertiteln war. Er war sogar so leise, dass man ihn nur verstand, wenn der Bus stand. Sonst neigt man hier eher zum anderen Extrem. Die Nacht bricht herein, und hin und wieder bleibt der Bus an einem Terminal stehen.

Donnerstag, San Fernando del Valle de Catamarca, 04.12.2003

Etwa eine Stunde später als angegeben kommt der Bus in Catamarca an. Offenbar hat er irgendein Problem. Catamarca liegt zwischen zwei Bergketten. Die im Osten ist nur knapp 2000 m hoch und sieht eher wie eine Hügelkette aus. Die im Westen ist stotziger und die Gipfel erreichen Höhen zwischen vier- und fünftausend Metern. Der Ort selbst hat etwa 150000 Einwohner, ist Provinzhauptort und liegt auf 550 m. Fast hätte man jetzt schon alles gesagt. Es ist sehr provinziell. Im Wortsinn. Das Spezielle an Catamarca ist, dass es eine hochreligöser Ort ist mit vielen Feiertagen, zu dem Leute von weither kommen. Am 8.12. ist ein grosser Marienfeiertag, und die Stadt ist in der Vorbereitung auf dieses Ereignis. Die Zimmer werden angeblich knapp.

Ich muss in Catamarca noch einige Besorgungen machen. Zum Beispiel einen Velohelm. Von mancherlei Leuten wurde mir das sehr ans Herz gelegt. Also gut, ich mache mich auf die Suche nach dem Veloladen, den mir der Hotelmann angegeben hat (das Hotel ist ganz nett und kostet 14 Pesos die Nacht). Ich finde ihn sogar auf Anhieb (o.k., es war nur die Strasse grade runter, aber mit meinen unglaublichen Spanischkenntnissen...), und er hat sogar Velohelme. Allerdings in Grössen von Kleinkind bis Kind. Am Ende hat er doch noch einen, der auf meinen Quadratschädel passt. Ich bin mir nicht sicher, ob er im Fall des Falles viel bringen würde, aber made in China sind die bei uns erhältlichen wahrscheinlich auch alle, und vielleicht es ja wirklich besser als nichts?

Die zweite wichtige Besorgung ist Benzin. Nicht dass mein Velo davon abhängig wäre. Hier gibt es einige Velos mit Zusatzantrieb, ähnlich wie die Velo Solex, die es vor zig Jahren gab. Ich brauche es nur für meinen Kocher. Reinbenzin ist hier offenbar nicht zu bekommen, also muss ich wieder Autobenzin kaufen. Das hat den Nachteil, dass es viel mehr russt und den Kocher mit der Zeit verstopft. Ich bilde mir ein, dass niederoktaniges Benzin besser ist, weil Oktan ja vor allem den Flammpunkt erhöht. Kann aber auch Unsinn sein. Eine weitere wichtige Sache ist eine Karte von Tucuman. Das ist Argentiniens kleinste Provinz, die letztes Jahr dafür berühmt wurde, weil dort einige Kinder verhungert sind. Davon hatten wir noch keine Karte, und es ist immer ein wenig dumm, wenn man auf den Riesenkarten mit halb Südamerika drauf eine Strasse sucht, die dank Massstab 1:4 Mio halt 50 km woanders ist als vermutet. Zudem haben die ACA Karten den Vorteil, dass die angegebenen Strassen wirklich existent sind, und zudem sind die Kilometerangaben recht präzis. Zumindest stimmen sie mit denen an der Strasse gut überein.

Im Internetcafe im Busterminal suche ich noch nach Informationen über die Pässe, die in die engere Wahl kommen. Den Paso de Sico kenne ich ja schon vom letzten Jahr, aber der Paso de Jama, Paso de San Francisco und der Paso de Agua Negra sind noch unbeschriebene Blätter. Die Pässe hier sind ein wenig anders als die Alpenpässe. Die genannten sind alle über 4500 m hoch, bestehen meistens aus mehreren Übergängen mit Gesamtlängen von etwas mehr als 500 km und sind nur teilweise asphaltiert. Weil die Puna (die Hochgebiete der Anden) sehr dünn besiedelt sind, ist es von Vorteil, sich rechtzeitig im klaren zu sein, wo man Wasser und Esswaren auffüllen kann. Daher lohnt sich ein wenig Recherche im Voraus.

Mir wird klar, dass ich zu wenig Zeit habe. Wie immer.

andi, 2003-12-09