Argentinien, Chile 2003/04

10. Eintrag, Etappen 14 - 16

La Serena, Samstag, 27.12.2003

Die Busfahrt nach La Serena verläuft problemlos. Am Morgen erreichen wir das Busterminal, wo Busfahrer und Begleiter neugierig das Zusammensetzen und Aufpacken des Velos begutachten. Eine Dame versucht mir, ihr Hostal schmackhaft zu machen, aber ich will erst mal die Unterkunft anschauen, die mir die Dame vom Vilacoyo in San Pedro angegeben hat (Hostal Jofre). Das ist gleich um die Ecke vom Busterminal - allerdings nicht angeschrieben. Es sieht aus wie ein ganz normales Wohnhaus. Nach dem Klingeln werde ich von einem netten, älteren Herrn eingelassen. Es gibt noch Platz für mich und mein Rad. Nach hinten gibt es noch einen unerwartet grossen Hof mit Sitzgruppen im Schatten. Das ganze kostet 4000 chilenische Pesos (mit geteiltem Bad), also etwa 10 CHF. Nach der üblichen Registrationsprozedur bekomme ich noch einen Stadtplan, wo Herr Jofre auch gleich einen Veloladen einzeichnet. Bei mir war nämlich eine Schraube locker und hat sich anschliessend verflüchtigt. Genauer gesagt, war es eine Schraube von der Platte meiner Velosandalen, die in den Klickpedalen einhakt. Wenn es nur eine davon hat, kann sich die Platte verdrehen, und man kommt zwar rein, aber wahrscheinlich nicht mehr raus - bis man die Sandale auszieht und manuell rumwerkt.

Der Veloladen ist nicht weit entfernt und führt ausser Velos noch Kajaks, Motorräder (auch welche, die “Motorrad” heissen), Quads und einiges mehr. Die Dame im Obergeschoss bei den Velos hat eine Dose voller Schrauben, die wir durchsuchen und wirklich fündig werden. Das gute Stück kostet nichts. Der Herr Mechaniker in der anderen Ecke leiht mir einen Schlüssel, mit dem ich das Ding gleich reindrehen kann. Zugegeben, meine Sandalen duften nicht nach Rosen...

Da ich nur einen Tag in La Serena bleiben will, steht eine Kurzbesichtigung der Stadt an. Für den Strand langt es nicht. Kurz (was immer das heisst) ins Internet-Cafe, dann zum Hauptplatz (wo mich eine Bettlerin hartnäckig verfolgt) und die Strassen ringsum, in das Cafe Colonial (da lernt man oft am meisten über einen Ort) und dann zurück ins Hostal. Was machen mit dem Rest vom Tag? Es gibt ein Kino, und dort läuft der Senor de los Anillos, also gehen wir den ansehen. Die Nachmittagsvorstellung ist schon ausverkauft, bleibt nur die Abendvorstellung um 21:15 h. Nun gut. Die Zwischenzeit kann ich ja in einer Heladeria totschlagen. Leider ist das Glace hier nicht so gut wie in Argentinien, oder liegt es nur an der Wahl der Bude? Ich glaube nicht, denn generell ist das Essen hier irgendwie fader als in Argentinien. Vielleicht sind die Chilenen einfach nüchterner als die lebenslustigen Argentinier? Drum koche ich heute selber im Hostal, das von vielen Teutonen bevölkert ist.

Nun, wen der Film interessiert, kann ihn ja anschauen gehen. Er ist recht lang. Ich kam erst nach Mitternacht nach Hause. Es wird eine kurze Nacht.

La Serena - Ende Teerstrasse, Sonntag, 28.12.2003

Heute soll es Richtung Paso del Agua Negra gehen. Der zweite auf dieser Tour, und mein dritter grosser Pass insgesamt. Er ist relativ kurz, weil die Andenhauptkette hier im Süden schon sehr schmal ist, und gleicht am ehesten einem “normalen” (Alpen)Pass, d.h. es geht rauf und dann gleich wieder runter. Mit 4779 m ist es der höchste Pass in meiner Wunschliste - grade mal 25 m niedriger als der Mont Blanc. Nach dem üblichen Brimborium beginnt die Fahrt gegen acht Uhr. Es geht gleich ansteigend los auf einer breiten Strasse, aber es wird bald flacher und die Vororte weichen den landwirtschaftlichen Zonen des Valle del Sol. Erstaunlich, was hier alles angebaut wird. Manche Sachen habe ich noch nie gesehen. Die Strasse ist gut, der Wind auch, d.h. er kommt von hinten. Ganz gemütlich steigt die Strasse an. Auf der Südseite blitzen die Kuppeln des Cerro Tololo Observatory auf. Kurz danach erreiche ich einen Staudamm. Das Wasser sieht sehr verlockend aus bei den doch wieder recht warmen Lufttemperaturen. Aber gute Badeplätze gibt es eh keine, also weiter nach Vicuna. Das ist ein ganz netter, schattiger Ort. An der Plaza kehren mein Rad und ich in einem Restaurante ein, wo es Tomates Nevadas gibt, was heisst, dass es eine Unmenge Zwiebeln darauf gibt. Nach der dritten Flasche Mineralwasser sieht mich die Bedienung etwas schräg an...

In der Nähe von Vicuna, in Montegrande, wurde die erste südamerikanische Literaturnobelpreisträ,gerin, Gabriela Mistral alias Lucila Godoy Alcayaga geboren. Das sieht man an einige Ecken hier. Ausserdem gibt es hier noch ein öffentliches Observatorium, Mamaluca, welches von der amerikanischen National Science Foundation gestiftet wurde, als Dank für die Mitarbeit Vicunas bei der Umstellung der Beleuchtung. Die wachsende Stadt gefährdet mit ihrer Lichtverschmutzung die Anlagen auf dem Cerro Tololo, wo auch eines der neuen 8 m Gemini-Teleskop steht.

Vicuna ist ausserdem die “Hauptstadt” des Pisco, der chilenischen Version vom Grappa (Traubenschnaps). Das erkennt man unschwer an den unzähligen Werbetafeln von Capel, Control (ein interessanter Name für einen Schnaps) und anderen.

Nach Vicuna wird das Tal enger, aber immer noch intensiv landwirtschaftlich genutzt. Jedes Eck und jeder Wassertropfen scheinen genutzt zu werden. Im Talboden plätschert ein kleines Flüsschen vor sich hin. Es ist sehr beruhigend, dass es hier mehr Wasserresourcen gibt als im Norden der Atacama - es erleichtert das Leben eines Ciclistas ungemein (vor allem, wenn man einen Wasserfilter hat; ich weiss nicht, ob man das Wasser aus kleinen Bächen so trinken kann. Mutige können es ja mal probieren. Der grosse Hauptbach ist recht sandig, was wohl kaum schmeckt.). Erleichtern ist wörtlich zu verstehen bei einem Wasserbedarf von mindestens 5 Litern am Tag bei diesen Temperaturen - und dann der Höhe. Ausserdem erlauben die kleinen Bächlein ein Fussbad, was die erhitzten Fussohlen wieder auf Betriebstemperaturen bringt. Sehr angenehm!

Auf etwa 1600 m ist Schluss mit dem easy cycling und die Sandstrasse beginnt. Allerdings sieht sie recht gut aus. Die Schlucht ist hier recht eng, aber nicht allzu steil. Da die Kräfte langsam nachlassen, suche ich einen Campingplatz und finde bald einen gleich neben dem Bach. Guter Untergrund, kein grober Kies, versprechen eine gute Nacht. Zum Nachtessen gibt es Nudeln.

Ende Teerstrasse - La Laguna, Montag, 29.12.2003

Es ist so schön im Schlafsack, dass ich gar nicht aufstehen möchte. Aber was solls, der Pass fährt sich ja nicht alleine. Bis alles verstaut und aufgepackt ist, ist es doch schon wieder viertel nach acht. Immerhin, ich kann damit rechnen, dass der Wind hier von hinten kommt, und am Nachmittag dann gute Unterst&umml;tzung bringt (es kam heute aber nicht viel...).

Die Strasse schlängelt sich bis La Junta die Quebrada entlang, wo zwei Flüsschen zusammentreffen und die chilenische Grenzstation ist. Dort fahre ich zuerst zum hinteren Haus, wo der Gendarm residiert. Der notiert irgendwas in sein grosses Buch aus meinem Pass, gibt mir frisches Wasser und will mich gehen lassen; da erscheint aber ein Herr aus dem ersten, grossen Gebäude und will, dass ich mit ihm mitkomme. Also mache ich das. So gelange ich aber in die Einreisehalle, was den Mann von der Aduana recht verwirrt, so dass ich erst einen Eingangsstempel statt eines Ausreisestempels erhalte. Nun ja, das lässt sich korrigieren. Die Leute an den Grenzposten hier sind eigentlich immer sehr freundlich und hilfsbereit. Geduld üben sie an solchen Orten auch ausreichend. Der Gendarm meinte, im Schnitt seien es 5 Autos am Tag nach oder von Argentinien - ich solle aufpassen!

Nun, das habe ich schon vor. Ein älterer Herr von der Aduana (Zoll) meint, dass es an La Laguna gute Stelle zum Campen gebe. Die ist auf meiner Karte nicht eingezeichnet, also muss ich mich überraschen lassen. Laguna klingt nach Salzwasser, was mir nicht recht gefällt. Nun, wir werden sehen.

Nach der Aduana sind auf meiner Karte noch kleine Orte eingezeichnet, aber die gibt es gar nicht mehr. Einer, Nuevi Elqui, ist eine Ruine, und sonst sehe ich nur primitive Hütten von Hirten. Tagsüber plagen mich Bremsen, die wie übergrosse Fliegen aussehen. Das ist auf einer Schotterstrasse wirklich lästig, weil man nicht so leicht eine Hand frei hat.

Bei etwa 3000 m sehe ich eine Staumauer - das also ist die Laguna. Es erklärt auch, warum der Bach seit Junta so klar ist - die Sedimente lagern sich im See ab. Nach einem kurzen, zackigen Anstieg erreiche ich den See, der wie in Fjord aussieht. Tatsächlich finde ich einen guten Platz, nur hat da schon ein Bauer seine Hütte hingebaut. So nahe will ich auch niemand auf die Pelle rücken und fahre noch 2 Buchten weiter. Es ist nicht so einfach, einen Platz zu finden, weil die Hänge hier sehr steil sind und die Strasse grade am See entlangführt. Man findet nur Platz, wo ein Bach herunterkommt und einen Schuttkegel geformt hat. Leider ist Platz Nummer 2 schon im Schatten, so dass es schon recht frisch ist. Es gibt Pulversuppe Queso mit Nudeln, die als Konglomerat anbrennen. Geschmacklich reicht dies eher zum Nachteil, und vor allem das Reinigen wird eine Tortur und gelingt nur unvollständig. Ein interessantes Muster schwarzer Flecken ziert seither den Boden meines schönen, neuen MSR-Topf. Die Finger sind eiskalt nach der Putzaktion im eiskalten Bach.

Wiederum eine wunderbare, ruhige, erholsame Nacht.

La Laguna - Paso del Agua Negra, Dienstag, 30.12.2003

Weil draussen kalt und drinnen warm, ist die Motivation zum Aufstehen recht gering. Fast zwanghaft geht es um acht Uhr weiter. Das erste Stück ist noch flach die Laguna entlang, aber an deren Ende windet sich die Strasse etwas steiler werdend die Hänge hoch. Sie biegt nach Norden ab und wird stückweise recht steil, so dass die kleinsten Gänge zum Einsatz kommen. Bei 3500 m treffen ich auf einmal auf einen Bauern, der - mit einem grossen Minolta-Fernglas bestückt - auf der Suche nach seiner Geissenherde ist. Die haben grade Junge (1 - 2 Monate alt). Ich begegne ihnen kurz darauf. Dank einer unterdurchschnittlichen Zahnbestückung und schneller Aussprache verstehe ich fast nichts von ihm.

Die Strasse macht einen weiteren Knick nach Osten diesmal. Die Berge ringsum sind wieder ässerst farbenfroh, und an einigen Gipfeln sind grössere Eisfelder zu erkennen. Auf etwa 3700 m hält ein Motorradfahrer - ein Zürcher -, der sich (wegen einer Frau) in La Serena niederlassen will. Er ist auf Testfahrt, ob sein Gefährt die Höhe auch verträgt, so dass er sie mitsamt Freundin mal fahren kann. Einige Modifikationen waren bereits nötig, um die Kiste höhentauglich zu machen. Da habe ich es mit dem Fahrrad schon einfacher...

Kurz darauf wird die Strasse deutlich schlechter, mit viel weichem Sand. Unschön ist das. Dafür wird die Landschaft wirklich Hochgebirge mit vergletscherten Gipfeln etc. Einen besonders schönen will ich fotografieren, und steige dazu auf einen Absatz am hangseitigen Strassenrand. Hinauf geht gut, aber herunter bricht ein Stein heraus und ich finde mich 2 m tiefer auf dem Hosenboden wieder. Bis auf eine kleine Schürfung am rechten Unterschenkel ist nichts passiert, aber erschrocken bin ich doch ein wenig.

Dank der schlechten Strasse komme ich nur noch langsam voran. Das Flüsschen ist zum Bach geworden und gabelt sich weiter auf. Der Pass selbst kommt ins Blickfeld. Da es dort trocken aussieht, pumpe ich am Bach nochmal etwas Wasser. Ich werde wohl am Pass übernachten müssen.

Der Zürcher kommt mir wieder entgegen und gibt mir den Tipp, die steile Strasse zu nehmen. Die ist eigentlich nur zum Bergabfahren, aber das spielt wohl keine Rolle hier. Die Serpentinenstrasse ist viel länger (um 12 km) und sehr weich. Ich probiere es mal. Die erste direkte ist allerdings so steil, dass ich die Serpentine vorziehe. Anfangs geht es halbwegs, aber dann muss ich einige Male absteigen und schieben, weil ich einfach steckenbleibe. Vielleicht sollte ich noch anmerken, dass ich 28 Zoll Räder habe mit Schwalbe Marathons als Reifen (47 oder 1.75 Zoll breit). Die haben kein gutes Profil für Sand, sind aber auf harten Strassen recht gut. Stollen wären hier besser - und breitere Reifen (ist aber für 28 Zoll-Räder schwierig).

Bei der zweiten Gelegenheit versuche ich die steile Strasse. Fahren ist da Illusion. Also schiebe ich das Rad, was mir schwer genug fällt. Die direkte Strecke ist 8 km lang und hat 800 m Höhenunterschied. Das gute ist, dass die Strecke direkt an den Eisfeldern vorbeiführt. Die heissen Penitentes (Mönche), auch Büssereis genannt, weil sie durch die senkrechte Sonneneinstrahlung zu Kegeln schmelzen. Sieht sehr interessant aus. Ein Wagen kommt entgegen, bremst. Es sind Deutsche, die das ganz toll finden, wie ich mich abmühe. Kurz darauf brettert ein weiterer Pickup an mir vorbei - es ist ein Argentinierer, was mich wieder in meinem Vorurteil bestätigt, dass die Argentinier zu den schlechtesten und rücksichtslosesten Autofahrern der Welt gehören. Die Strasse ist knapp breiter als ein Auto.

Da der Hang recht steil ist, ist es gar nicht einfach, einen Zeltplatz zu finden. Allerdings ist es schon etwa 19 h und der Rücken macht sich schmerzend bemerkbar. Wegen der Packtaschen kann man ein Reiserad nicht so gut schieben wie ein normales Rad, und immerhin hat das Ding auch ein ganz schönes Gewicht. In einer Kurve aber finde ich einen kleinen Aushub, der gross genug ist für das Zelt. Zum Kochen bin ich zu faul, zu müde, ... Es gibt Kekse und Nüsse. Es wird eine kalte Nacht.

andi, 2004-01-10